Vor einiger Zeit habe ich zusammen mit einer befreundeten Lehrerin ein Projekt gestartet, dass mir sehr am Herzen liegt: in Schulen mit Schülern über die Themen Behinderung und Inklusion zu diskutieren.

Was ist eigentlich Inklusion und was meint sie? Was bedeutet es, eine Behinderung zu haben und wie sieht man gewissermaßen „behindert“ aus?

Ausschlaggebend war mein damaliger Blogpost zu diesem Thema. Immer wieder werde ich im Alltag mit Vorurteilen und Klischees konfrontiert, die sich noch immer nicht aus den Köpfen der Menschen bekommen lassen.

RollstuhlfahrerIn = Hilflosigkeit
RollstuhlfahrerIn = Schwerste Mehrfachbehinderung
RollstuhlfahrerIn = Nicht mehr dazu in der Lage, die eigenen Bedürfnisse zu formulieren oder zum Ausdruck zu bringen

Aber: RollstuhlfahrerIn rast mit dem Rollstuhl durch die Fußgängerzone, kauft alleine ein, drückt sich sehr gewählt aus = kann nicht behindert sein / braucht den Rollstuhl eigentlich nicht

Ich übertreibe an dieser Stelle nicht, denn oft ist es wirklich so. Nicht selten muss ich erwachsenen Menschen erklären, dass man mit einer Behinderung durchaus auch Auto fahren kann, dass man auch alleine Wohnen, Arbeiten und ein eigenständiges Leben führen kann. Ja, das ist möglich. Und nein, mein Freund ist nicht mein Pfleger!

Ich war voller Vorfreude und auch ein wenig gespannt, wie sich die SchülerInnen einer 10. Klasse zu diesen Themen äußern würden – und ich ging überrascht aus diesem Gespräch hinaus. Für gewöhnlich nimmt die Offenheit bei der Begegnung mit fremden und heiklen Themen mit dem Alter ab. Sei es durch die Erziehung oder durch das Lernen am Modell in der Sozialisation mit der Gesellschaft. Während mich Kinder noch vollkommen unbeschämt und ganz direkt ansprechen, sind es meist eher die Eltern, die sie versuchen weiterzuziehen oder schnell zischen: „Sei still, sowas fragt man doch nicht und starr die Frau nicht so an!“.

Doch die SchülerInnen waren voller Ideen und es entwickelte sich eine lebhafte Unterhaltung. Noch erstaunter war ich, als ich die Thematik des Wortes „behindert“ ansprach. Das Wort „behindert“ an sich ist vollkommen wertfrei und beschreibt einfach nur eine Beeinträchtigung. Ich bin behindert durch meine Erkrankung und die damit einhergehenden Einschränkungen und ich werde behindert durch die Gesellschaft und die nicht vorhandene Barrierefreiheit. Dass es jedoch heutzutage solch einen negativen Beigeschmack hat, das Wort „behindert“/ „Behinderte“ zu verwenden, liegt an der gesellschaftlichen Nutzung des Wortes. „Behindert“ hat in der (Jugend-)Sprache die Bedeutung bekommen, dass etwas/jemand ziemlich dumm ist oder sich dumm anstellt. Früher war man „Voll der Homo“ / „Voll der Spast“ und heute ist man eben „Voll behindert“. Prinzipiell orientiert sich das Wort noch immer an gesellschaftlichen und sozialen Randgruppen, aber ist trotzdem mitten in der Gesellschaft angekommen. Genau das was der Inklusion noch fehlt. Aber anstatt, dass wir versuchen dazu beizutragen, dass das Wort wieder seine alte Bedeutung bekommt, ersetzen wir es durch euphemistisch klingendere Begriffe, wie: Gehandicapte oder Menschen mit einer Behinderung. Klingt doch gleich viel besser, als Behinderte.

Es sind nicht die äußeren Umstände, die das Leben verändern, sondern die inneren Veränderungen, die sich im Leben äußern.

Wilma Thomalla

Deutsche Publizistin

Ich war mir zu diesem Zeitpunkt nicht sicher, wie ca. 15-jährige Schüler darauf reagieren, wenn man ihren Sprachstil und damit einen Teil ihrer Persönlichkeit kritisiert. Doch widererwartend, stieß ich nur auf offene Ohren und den Jugendlichen wurde selbst klar, in welch abwertendem Zusammenhang sie dieses Wort verwenden und sie schlugen selbst Veränderungen vor. Veränderungen in der Sprache und in der Umgangsweise mit Behinderten. „Ja, wenn ich jetzt einfach einen Unfall habe und dann im Rollstuhl sitzen muss, dann bin ich aber doch immer noch der gleiche Mensch wie vorher und möchte auch genauso behandelt werden!“, sagte ein Junge ganz zusammenfassend. Dieses Begreifen berührte mich so sehr, dass ich für einen Moment wirklich mit Tränen in den Augen zu kämpfen hatte. Das ist der Grund, warum ich dieses Projekt mache und warum ich es noch viel weiter in viele andere Schulen hinaustragen möchte. Änderungen können wir nicht von heute auf morgen bewirken, aber wir können sie mit einem Gespräch beginnen!