„Ich bin nicht fly, ich bin wheel“
Jason Bartsch
Diese Zeile singt Jason Bartsch in seinem Song Fahrradtyp und ich komme nicht umhin, dass mir genau dieser Liedtext jedes Mal in den Sinn kommt, wenn ich mit meinem neuen Rollstuhl durch die Gegend fahre.
Ich bin „wheel“ und doch bin auch ich auch „fly“, wenn Wir schon bei dieser Liedzeile sind. Ich bin unabhängig, ich bin frei! Mein neuer Rollstuhl erlaubt mir eine noch größere Freiheit, ein noch stärkeres Gefühl der Ungebundenheit und Selbstständigkeit als mein vorheriger. Weshalb das so ist? Eine Behinderung kann sich ändern, aber auf jeden Fall ändert sich ein Körper. Als ich meinen letzten Rollstuhl bekam, war dieser ein riesiges Upgrade zu dem Vorherigen. Um Längen in allem besser und das wäre er auch noch – wenn ich mich nicht verändert hätte. Ich sitze nun seit fast 4 ½ Jahren und in dieser Zeit hat sich einiges an meinem Körper verändert. Besonders die Muskulatur an meinen Beinen (von der vorher viel vorhanden war – Handballerinnenbeine) ist atrophiert, aber eben auch mein Po. Nicht umsonst heißt der Hintern auch Musculus gluteus maximus, eben weil es ein Muskel ist und weil er groß ist. Doch was Muskeln so an sich haben, wenn sie nicht mehr innerviert werden, sieht man deutlich an meinem Exemplar: sie verflüchtigen sich. Dementsprechend hat auch der Umfang meines Gesäßes abgenommen und somit meine Sitzbreite. Früher saß ich auf 37cm (und ich meine 37cm und nicht eine Sopur-Sitzbreite!), aber schon über 3 Jahre später hatte ich erneut fast 4cm an meiner Sitzbreite verloren. Was das bedeutet, verstehen die meisten RollstuhlfahrerInnen recht schnell: ich fühlte mich unsicher, bin im Stuhl hin und her gerutscht und saß dadurch oft sehr schief, weshalb ich starke Rücken- und Nackenschmerzen bekam. Da nur ein neuer Stuhl die Lösung sein konnte, wollte ich diesmal von Anfang an alles richtig machen. Keine halben Sachen mehr und erst recht mir genügend fachlichen Rat einholen. Alle meine Ärzte und das kompetente Team von Wolturnus bestätigten mir, dass ich nicht noch mehr an Muskulatur verlieren würde (weg ist weg und den Rest erhält die gute alte Spastik) und somit der Zeitpunkt für einen neuen Stuhl wäre.
Heute sitze ich auf 33,5 cm. Eine ungewöhnliche Breite, wenn man die Standard-Sitzbreiten kennt. Doch unsere Körper sind nun einmal nicht Standard und so muss auch nicht immer der Standard passen. Ich sitze nun auf genau so viel cm Sitzbreite, wie ich sie brauche. Nicht mehr und nicht weniger.
Bei meinem neuen Stuhl war außerdem klar: ich will und muss meinem Rücken mehr entgegenkommen, schließlich soll er mich noch die nächsten Jahrzehnte tragen. Mein Becken kippte bei meinem alten Stuhl oft nach hinten (weil ich einen Ergositz damals nicht für notwendig hielt, entgegen jedes Rates), was ich mit dem oberen Rücken zu korrigieren versuchte und dadurch noch mehr an Rückenschmerzen litt. Also musste auf jeden Fall ein Ergositz her! Der zeichnet sich dadurch aus, dass er mein Becken stabilisiert und im Sitzen aufrichtet. Durch die einstellbare Rückenbespannung habe ich somit eine gute Kontrolle über meinen Sitz, mein Becken und zudem eine optimale Gewichtsverteilung und somit minimierte Druckbelastung.
Eigentlich war ich damit schon sehr zufrieden, doch wie bereits erwähnt, wollte ich mich diesmal wirklich ausführlicher beraten lassen, um am Ende nichts zu bereuen. Den Mitarbeitern von Wolturnus schilderte ich meine Rückenproblematik, dass ich gerade bei einem sehr langen Tag in der Uni immer mit starken Rückenschmerzen zu kämpfen habe. Einerseits kommen diese von meiner Myelitis, andererseits von einem schlechten Sitzverhalten meinerseits und natürlich sowieso von zu viel Rumsitzerei. Da mir sehr viele andere NutzerInnen zu einem ILSA-Wing-Back rieten, ich mich aber nicht vollends dazu durchringen konnte, entschied ich mich diesen ein paar Tage zu testen und einem Härtetest in der Uni zu unterziehen – und was soll ich sagen? Es war wirklich traumhaft. Und obwohl mir klar war, dass es solch ein Rücken werden muss, zweifelte ich an meiner Entscheidung. Ich will und wollte nicht noch behinderter sein. Für mich war die Gleichung folgende:
Ich brauche einen Rücken mit noch mehr Unterstützung = meine Behinderung hat sich sehr verschlechtert / Ich behalte einen normalen Rücken = ich bin nicht eingeschränkter als zuvor.
Klingt nach einer Milchmädchenrechnung? Ist es auch. Auch wenn es eine reine Kopfsache war. Tagelang überlegte ich hin und her, bis mich Wolturnus auf eine einfache Idee brachte, die eben diesen Rücken erst so genial macht, wie er ist. Die kleinen gebogenen Rohre, die es in 3, 5 und 7 cm (Krümmungstiefe) Ausführung gibt, werden in den Rollstuhlrahmen gesteckt. Dadurch erlauben sie, dass man nicht nur die Höhe des Rückens variieren kann, sondern auch die Intensität der Unterstützung. Habe ich einen schlechten Tag (wie das bei neurologischen Erkrankungen oft ist), dann drehe ich einfach beide Schrauben auf, passe mir den Rücken so an, dass ich genug Halt habe und ziehe die Schrauben wieder fest. Habe ich gerade gute Tage, an denen ich mich deutlich fitter fühle, dann kann ich den ILSA-Rücken einfach mehr öffnen. Das System ist ebenso einfach wie genial und selbst kinderleicht anzupassen. So kann ich selbst bestimmen, wie viel Unterstützung ich täglich möchte und bin nicht mehr auf die Hilfe eines Mitarbeiters eines Sanitätshauses angewiesen. Und selbst, wenn mir das System gar nicht zugesagt hätte, dann hätte Wolturnus die gebogenen Rohre des ILSA-Rückens eben wieder gegen gerade Stücke ausgetauscht und alles wäre wie zuvor.
Nachdem ich feststellen konnte, wie einfach das System funktioniert und dass ich deshalb noch immer nicht eingeschränkter sein muss, zögerte ich nicht lange. Mittlerweile fahre ich diesen Rollstuhl seit über 7 Wochen und ich bin noch glücklicher als am ersten Tag. Ich konnte feststellen, dass mir der ILSA-Rücken noch viel mehr Freiheit bietet, als ich es zuvor angenommen habe. Entgegen meiner Erwartungen habe ich ihn recht weit geschlossen, sodass er mir enorm viel Stabilität im unteren Rücken bietet, mich noch mehr aufrichtet und ich damit noch aktiver sein kann. Meine Rückenschmerzen sind um Welten besser geworden und ich bin sogar, konträr zu meiner Annahme ich würde dadurch eingeschränkter sein, viel mobiler geworden. Denn durch die starke Unterstützung im unteren Rücken, konnte ich sogar meine Rückenlehne um fast 2 cm reduzieren (RollstuhlfahrerInnen wissen was das bedeutet), ohne dabei Einschränkungen in der Stabilität zu haben. Ich bin so begeistert davon, dass ich es kaum erwarten kann, mit diesem Stuhl und meinem Zuggerät unterwegs sein. In den Kurven brauche ich nun definitiv keine Angst mehr haben, mit dem Oberkörper seitlich aus dem Stuhl zu fallen. Ein Träumchen!
Man sagt ja, dass man mit dem Alter weiser wird. In diesem Punk habe ich in den letzten Jahren einiges gelernt.
Oft wissen wir selbst, was das Beste für uns ist. Aber manchmal ist es auch gut, auf eine gute Beratung zu vertrauen.
Hi ihr beiden,
Hübscher neuer Stuhl und deine Begeisterung liest man aus jeder Zeile. Die Veränderung bei der sitzbreite ist echt enorm. Viel Spaß und viel Glück mit deinem neuen Weggefährten.
Gruß aus Berlin