„One day baby, we’ll be old
Oh baby, we’ll be old
And think of all the stories that we could have told“

One Day / Reckoning Song (Asa Avidan)

Das ist das Motto meines Lebens. Gerne würde ich behaupten, dass ich schon immer so extravertiert war, so spontan, keine Dinge aufzuschieben, sondern das Leben jetzt zu genießen. Aber meine Sicht auf die Dinge hat sich erst durch meine Erkrankung, meine Behinderung geändert. Zum Bessern geändert!
Ich möchte Nichts mehr aufschieben, später tun, irgendwann einmal in der Zukunft. Vielleicht. Ich möchte alles mitnehmen, was das Leben zu bieten hat – und zwar jetzt. Wer weiß wie sich meine Erkrankung verändern wird? Bin ich in zwei Jahren noch dazu in der Lage? Geht es mir schlechter? Oder vielleicht sogar besser? Oder wache ich eines Tages auf, wenn es zu spät ist all das zu tun, was ich tun möchte, aber ich habe mein Studium in Regelstudienzeit abgeschlossen, gelernt bis zum Umfallen, gearbeitet, bis ich nicht mehr kann, aber nicht gelebt?

Das ist der Grund, weshalb wir so viel unterwegs waren in der letzten Zeit. Prag, Wien, Paris. Als Demoläuferin für ReWalk eine Technologie vorstellen, von der wir in Zukunft sicherlich alle einmal profitieren werden. Ich war zum 13. Mal im System und es fühlt sich schon so unglaublich vertraut an. Ich sage zwar immer, um die Technologie zu verdeutlichen, dass „mich das System läuft“ – aber mittlerweile habe ich das Gefühl, dass wir immer mehr zu einer Einheit verschmelzen. Die Schritte werden flüssiger, der Gang weniger schwerfällig und ich fange an zu experimentieren.

Doch um die Reise überhaupt beginnen zu können, hatten wir leichte Startschwierigkeiten am Flughafen. Diesmal ging beim Flug alles gut, aber wir waren kurz davor erst gar nicht fliegen zu können. Wir passierten wie gewöhnlich relativ entspannt die Sicherheitskontrolle und ich musste schon wieder darüber schmunzeln, wie wenig sie meinen Rollstuhl abgesucht hatten. Dann kommt der obligatorische Sprengstofftest. Sie streichen mit so einem kleinen Teststreifen an deinem Rollstuhl entlang und besonders an den Greifreifen, weil die könnte ich ja mit Sprengstoff gefüllt haben. Dann wird der Teststreifen in eine Maschine gesteckt und die sagt dann eigentlich: alles ok. Eigentlich! Plötzlich helle Aufregung, alle flüstern untereinander und die Dame an der Maschine läuft ein bisschen nervös von einem Mitarbeiter zum nächsten. Ich frage, wo das Problem sei. Da ändert sich die Stimmlage der Frau und in deutlich ernsterem Ton weist sie mich an, dass ich dableiben müsste. Die Maschine sage „X9“ an. Ah ja, „X9“ also. Wir haben keinen blassen Schimmer was genau das heißt, nur dass es jetzt weniger gemütlich wird. In mittlerweile heller Aufregung sagt sie, dass jetzt die Bundespolizei kommen müsse, die sollen entscheiden was jetzt zu tun sei. Für einen Moment habe ich das Gefühl in einem Gag der „versteckten Kamera“ gelandet zu sein. Doch da kommen schon die beiden Polizisten. Ungefähr unser Alter, das Maschinengewehr im Anschlag. Die Beiden fragen ganz entspannt wo das Problem sei und wirken dabei fast ein wenig genervt oder desinteressiert. Die andere Dame fast hysterisch: „Das Gerät zeigt ‚X9‘ an!“. Die Polizisten nicken nur. Schauen sich beide an, dann zu mir, dann wieder einander und wieder mich. Die Situation wirkt derweil ultra komisch. Der eine Polizist brummt: „Irgendwas müssen wir ja jetzt mal machen“ und guckt, noch immer tiefenentspannt, den anderen an. Der nickt. Dann endlich ergreift einer der beiden die Initiative und fragt, ob ich mich mal kurz auf einen der Stühle umsetzen könne, dann würden sie meinen Stuhl nochmal manuell absuchen. Gesagt, getan. Und welche Überraschung, sie finden nichts. Nach 2 Minuten ist der Spaß vorbei. Doch der eine Polizist meint zu mir: „Haben Sie eventuell vor der Sicherheitskontrolle Handcreme benutzt?“ Ja, heute morgen im Auto. Danach habe ich natürlich irgendwann die Greifreifen angefasst und somit war auch etwas von der Handcreme darangekommen. Tja und ein weiterer Bestandteil der Handcreme ist: Glycerin. Also wussten wir jetzt auch, wie die ganze Problematik zustande kam. Und was lernen wir daraus? Nie mehr Handcreme vor der Sicherheitskontrolle verwenden, erst danach. Erspart enorm viel Zeit – aber auch etwas Spaß!

Zu aller erst waren wir in Prag auf der „Innovation Week“ und ich durfte zum ersten Mal überhaupt auf einer wirklich großen Bühne vor viel Publikum den ReWalk präsentieren und dazu auf Englisch! Es wäre mehr als gelogen, würde ich behaupten, dass ich nicht super nervös gewesen wäre. Aber ich war überrascht wie gut es dennoch gewesen ist – und das, ohne mir zuvor ein paar Sätze zurechtgelegt zu haben. Man weiß schließlich nie so genau, welche Fragen einem in Interviews gestellt werden.

Dagegen konnte ich in Wien auf dem Kongress der DMGP (Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegie e.V) wieder auf Deutsch erzählen und es klingt verrückt, aber ich war so gar nicht mehr nervös. Die vielen Vorträge in der Uni haben dazu beigetragen, dass ich mittlerweile nicht mehr sonderlich aufgeregt bin, wenn ich vor Publikum sprechen muss (so lange es auf Deutsch ist). Vor einigen Jahren wäre das noch unvorstellbar gewesen und ich bin wirklich stolz darauf, dass ich mich so verbessert habe.

Von beiden Städten haben wir nicht sonderlich viel gesehen, aber wir waren ja auch zum Arbeiten dort und nicht zum Sightseeing. Ich will kein Städte-Hopping machen, sondern das Gefühl haben, gebraucht zu werden und etwas Gutes zu tun.

Vor einer Woche waren wir dann schließlich in Paris – auf dem wirklich coolsten Event!

Dort feierte Israel seinen 70. Geburtstag der Unabhängigkeit und die Handelbeziehungen zusammen mir Paris. Zwei Tage vor unserer Ankunft trafen sich dort bereits Präsident Macron und Präsident Netanjahu, um dieses Event zu beginnen. Es war ein einmaliges und wirklich unbeschreibliches Erlebnis dort vor ca. 300 Gästen (darunter enorm viele wichtige Menschen) erneut auf Englisch über meine Erfahrungen mit dem ReWalk berichten zu dürfen. Und siehe da, die Aufregung war schon deutlich reduzierter, als noch 3 Wochen zuvor in Prag.

Der Heimflug war nun wieder ein Event für sich! Hatten wir auf dem Hinflug nach Paris schon 5 Stunden am Flughafen kampiert, weil alle Fluge annulliert worden waren, aufgrund zu vieler wütender Unwetter. Auf einen Zug umzubuchen war auch nicht mehr möglich, weil diese aufgrund des Unwetters auch nicht mehr fuhren. So konnten wir nur warten und hoffen, dass unser umgebuchter Flug am Abend noch gehen würde und landeten schlussendlich glücklicherweise um kurz nach 23 Uhr in Paris Charles de Gaulle.

Doch auch auf dem Rückflug wurde unser Flug wieder und wieder nach hinten verschoben, weil zu viele Unwetter unterwegs waren. Aber als wir endlich ins Flugzeug einsteigen durften, trauten wir unseren Augen nicht. Bei der Lufthansa arbeiten insgesamt 130.000 Mitarbeiter. Es ist also ziemlich unwahrscheinlich, einen Steward oder eine Stewardess so schnell wieder zu treffen. Kaum steigen wir ins Flugzeug ein, werden wir freundlichst mit Namen begrüßt, denn diese beiden Stewardessen waren schon mit uns zusammen nach Prag geflogen! Einer der beiden hatten wir damals von unserem Pech mit meinem Rollstuhl erzählt, der immer wieder vergessen wurde. Schon damals machte sie eine Durchsage, dass mein Stuhl auch dabei sei. Doch dieses Mal nicht nur das. Nachdem sie per Mikrofon die Sicherheitshinweise genannt hatte, fragte sie einmal durchs gesamte Flugzeug: „Habe ich alles richtig gemacht, Frau Schmitt?“. Wir mussten lauthals lachen und wurden von den anderen Gästen verstört angesehen. Aber auch bei der Landung meldete sie sich wieder über das Mikrofon persönlich an mich: „Frau Schmitt und dieses Mal keine Sorge. Ihr Stuhl ist schon auf dem Weg und ich kümmere mich persönlich darum!“. Unglaublich! So möchte man doch gerne wieder fliegen!