Spätestens nach der Frage, ob ich denn einen Partner habe, kommt die Frage: „… und was machst du sonst so?“. Manchmal macht es Spaß, sich vollkommen dumm zu stellen und alle Freizeitaktivitäten aufzuzählen. Aber eigentlich ist mit „und sonst so“ das berufliche Leben gemeint. Sobald die Unterhaltung an diesem Punkt angekommen ist, entscheidet sich relativ schnell, wie zügig das Gespräch mit meinem Gegenüber beendet sein wird. Zunächst kommt jetzt noch die übliche Freude meines Gegenübers, dass ich sogar nicht nur einen Mann abbekommen habe, sondern, man kann es kaum glauben, auch noch studiere! Das verdient Anerkennung in Form eifrigen Nickens und bei weiblichen Gesprächspartnerinnen auch gerne begleitet von einem „Oooooh wie toll! Voll cool, dass du auch studierst!“. Männer beschränken sich gerne auf ein schlichtes „Respekt!“.

Doch der beste Teil kommt erst jetzt mit der Frage, was ich denn studieren würde. Psychologie.

Schweigen.

Als Reaktionen gibt es nun genau zwei Möglichkeiten:
1. Noch größere Freude, als die Freude eben, dass ich überhaupt studiere. Begleitet mit Worten wie: „Wow, bestimmt voll schwer!“, „Ok krass!“, „Das ist wirklich spannend!“ und „Ja du hast ja auch etwas aufzuarbeiten…“.

  1. Die Gesichtszüge frieren schockartig ein, die Augen gucken mich leicht panisch an und es kommen Aussagen wie: „Okay…“ (langgezogen gesprochen), (skeptischer Blick) „Das wäre nichts für mich“ oder Fragen wie: „Kannst du mir jetzt in den Kopf gucken?“ / „Kannst du mir aus den Händen lesen?“
    Ich würde an dieser Stelle gerne sagen, dass ich Witze mache.

Aber es ist die Realität.

Erstmal bin ich heilfroh, dass ich niemandem in den Kopf gucken kann! Alleine die Vorstellung ist mir schon zuwider. Stellt euch mal vor, was ich da alles sehen würde. Es gibt das schöne Lied: „Die Gedanken sind frei“ – glücklicherweise ist dem so und ich kann nicht die Gedanken lesen, nur weil ich Psychologie studiere. Dazu stelle ich mir aber die Frage, was manche Leute (offensichtlich viele) denken, was wir im Studium lernen? Zu aller Enttäuschung: wir lernen nicht Gedanken zu lesen, können nicht mit Glaskugeln in die Zukunft gucken und zum Glück können wir auch nicht aus den Händen lesen. Psychologie ist eine Wissenschaft und kein Hokuspokus.

Die ersten Semester lernt man besonders viel Biologie und Statistik. Ich erinnere mich, wie überrascht ich selbst war, in Psychologie so viele ähnliche Dinge zu lernen, wie zuvor im Medizinstudium. Und nein, man muss danach nicht automatisch Therapeut oder Therapeutin werden, nur weil man Psychologie studiert hat. Die Bereiche, in denen man arbeiten kann, sind so unglaublich vielfältig – nicht jeder hat am Ende das klischeemäßig klassische Psychoanalyse-Sofa in seiner Praxis stehen und redet mit dem Patienten über seine Probleme!

Doch die aller schlimmste Annahme, die sich offensichtlich wacker hält, ist, dass alle Psychologiestudierenden offensichtlich selbst ein Problem haben, dass sie aufarbeiten müssen, was dann natürlich der Grund für das Studium ist. Ich kann schon gar nicht mehr mitzählen, wie oft ich diesen Mist gehört habe.
„Ja, aber die mit den roten Haaren und der XY, die sind schon ziemlich komisch, das musst du zugeben.“
„Ja, aber die Dingens hat auch erzählt, dass sie eine Therapie macht und die will mal Therapeutin werden!“
„Ach und die … hatte auch eine wirklich schlimme Kindheit. Ich meine, ist ja nicht überraschend, dass die das jetzt aufarbeiten muss. Ihr Papa war auch immer voll komisch.“

Das alles sind Zitate von anderen Studierenden, die genau diese Aussagen mir gegenüber jeweils als Verteidigung für ihre Klischeevorstellung nennen.

Glücklicherweise gibt es auch unter Studierenden der Psychologie „komische“ Leute – stellt euch vor, die würden sich nur in anderen Studiengängen sammeln? Wäre eine etwas zu homogene Masse.
Ja, auch unter Psychos gibt es Leute, die eine Therapie machen und das ist gut so. Warum das unter uns so bekannt ist? Weil wir da kein Geheimnis draus machen müssen. Wir wissen, dass es keiner schweren psychischen Störung bedarf, um von etwas aus der Bahn geworfen zu werden. Wir wissen, dass wir nur besser werden können, wenn es uns selbst auch gut geht. Zum Hausarzt rennt auch jeder beim kleinsten Wehwehchen, doch erst bei der Psyche fangen viele an zu zweifeln. Wir wissen, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, Hilfe anzunehmen, sondern ein Zeichen von Stärke!

In meinem Semesterjahrgang in Medizin waren damals deutlich mehr auffällige Leute. Viele, die schon morgens Aufputschmittel genommen haben, um das Pensum zu schaffen. Die mit Ritalin nachhalfen, wenn das nicht reichte. Die sich in Sport flüchteten oder wie besessen (zwanghaft) Nächte lang lernten, weil sie immer Angst hatten, es nicht zu schaffen! Das war im ersten Semester. Möchte ich später einen solchen Arzt vor mir haben? Einen, der sich offenbar selbst nicht gut genug kennt? Der aber beim Thema Psyche nur mit den Augen rollt, weil er denkt, dass man ihm etwas unterstellen will?
Ich habe zu viele narzisstische Persönlichkeiten kennengelernt und mich schon damals instinktiv gefragt, warum eigentlich immer den Psychos unterstellt wird, dass sie sie nicht alle hätten.
Ja, ich habe einen Schicksalsschlag erlitten und ich würde lügen, wenn mich meine Erkrankung und Behinderung nicht ab und an wirklich verzweifeln ließen. Aber ich muss mit dem Studium nichts aufarbeiten. Das ist schlicht nicht möglich, weil eine Therapie anders funktioniert und das ist auch nicht der Sinn dahinter, warum meine Kommilitonen und ich dieses Fach studieren. Sonst müsste man nämlich einmal den Umkehrschluss wagen:
Mediziner studieren Medizin, weil sie selbst/die Familie so krank ist, dass sie ein Mittel finden müssen.
Juristen lernen Jura, weil sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind.
Wiwis studieren Wirtschaft, weil sie nicht mit Geld umgehen können.
Lehrämtler hatten den Stoff schon damals in der Schule nicht verstanden.

Menschen werden ErzieherInnen, weil sie keine Kinder erziehen können.
Lukas hat Fotograf gelernt, weil er keine Fotos machen konnte.

Ist irgendwie Bullshit, merkt man selbst, oder?