Eine, der wunderbarsten Begleiterscheinungen, wenn man z.B. aufgrund einer Rückenmarksschädigung im Rollstuhl sitzt, sind Spastiken.

Für alle, die sich nichts darunter vorstellen können, hier ein kleiner Auszug aus Wikipedia:

Die Begriffe Spastik bzw. Spastizität leiten sich vom griechischen Wort σπασμός (spasmos, „Krampf“; latinisiert Spasmus, dt. Plural Spasmen) ab und beschreiben eine in typischer Weise erhöhte Eigenspannung der Skelettmuskulatur, die immer auf eine Schädigung des Gehirns oder Rückenmarks zurückzuführen ist.

Klingt ja jetzt so ganz nett formuliert, die „erhöhte Eigenspannung der Skelettmuskulatur“, aber was genau das heißt, kann man eigentlich ganz kurz beschreiben: unwillkürliche Zuckungen der Muskulatur. Also willentlich nicht steuerbar.
Es gibt viele querschnittsgelähmte Rollstuhlfahrer, die gar keine Spastik haben und es gibt genauso viele, die sogar starke Spastiken haben. Auslöser dafür muss es nicht immer geben. Manchmal tritt sie einfach so auf, wenn ich vollkommen entspannt irgendwo sitze, oder im Bett liege. Aber bevorzugt natürlich, wenn ich mich in einer stressigen Situation befinde, oder etwas angespannt oder nervös bin.
Manchmal kann eine Spastik auch sehr hilfreich sein. Beispielsweise bekommen viele Querschnittsgelähmte vermehrte Spastiken, wenn die Blase sehr gefüllt ist und erhalten somit quasi eine Erinnerung, wieder einmal eine Toilette aufzusuchen. Oder auch, wenn sie beispielsweise einen Dekubitus (eine Druckstelle), oder eine Blasenentzündung haben und diese bis dato noch nicht bemerkten.
Bisher hatte ich eigentlich nur geringe Spastiken und diese auch ganz gut im Griff, sprich ich kam mit wenigen Antispastika aus. Seit über einer Woche hat sich das jedoch drastisch geändert. Ich habe die Medikamente zwar schon hochdosiert, aber trotz dessen spielen meine beiden Beine etwas verrückt. Zuvor waren meine Zuckungen ziemlich unauffällig. Fingen meine Beine auf dem Fußbrett an, so zu zucken, wie wenn man auf dem Vorderfuß zum Takt der Musik wippt, dann konnte ich sie kurzerhand anwinkeln und sie gaben wieder Ruhe. Jetzt jedoch, ist alle Mühe vergebens und selbst meine Physiotherapeutin hat stark damit zu kämpfen, meine Beine wieder zu breuhigen. Ich muss mich dann damit abfinden, dass ich es nicht stoppen kann und so eine Spastik kann bei mir, ohne eine neue Ladung Medikamente zu nehmen, auch gut und gerne den ganzen Tag dauern – und die ganze Nacht! In der Nacht ist es einfach nur unglaublich nervig. Meistens wache ich irgendwann davon auf, wenn nicht der Lukas mich weckt, weil das gesamte Bett wackelt. Aber auch tagsüber kann es einem wahnsinnig auf die Nerven gehen, weil man andauernd in seinem Stuhl rumzappelt und nicht mal stillsitzen kann.

Spastik kommt von Spaß | Th10. Leben. Rollstuhl. Hund.

Aber die besten Dinge kommen ja noch:

  1. Beine rasieren, wenn man in der Dusche plötzlich eine Spastik bekommt. Ist unglaublich witzig. Versucht mal mit der scharfen Klinge euren Unterschenkel zu erwischen, wenn dieser andauernd hoch- und runter wippt. Richtig! Geht so semi-gut und danach sehen die Dusche- und euer Bein aus, als habe ein kleines Massaker stattgefunden!
  2. Einen Vortrag in der Uni halten, vor zig Mitstudenten und einigen Professoren, wenn man plötzlich eine richtig fiese Spastik bekommt. Natürlich kommen diese bevorzugt dann, wenn man sowieso schon angespannt und nervös ist. Nicht nur, dass einen alle ziemlich gestört anstarren, es bringt einen auch völlig aus dem Konzept und endet bei mir nicht selten damit, dass ich mit knallrotem Kopf vor meinem Laptop stehe und krampfhaft versuche das Bein wieder zu beruhigen. Funktioniert übrigens nicht. Je verzweifelter ich es versuche, desto stärker wird die Spastik.
  3. Mit Spastik einkaufen gehen. Eigentlich wollte ich nur noch schnell zwei, drei Sachen holen, mich extra beeilen, weil mein Bein schon den ganzen Tag wieder am Rad drehte. Aber auch so ein kleiner, eigentlich unspannender Einkauf kann damit zum großen Spaß werden. Man kann es vielen Fußgängern ja nicht verdenken und ich hätte früher ganz genauso gedacht. Wenn man einen Rollstuhlfahrer sieht, dann denken viele unweigerlich, dass dieser die Beine nicht mehr bewegen kann. Umso spannender fallen dann die Reaktionen in den Gesichtern der Leute auf, die Rollstuhlfahrer mit zuckenden Beinen sehen. In der Disco ist das cool, das fällt es nicht auf und zur Not sieht es aus, als sei es im Takt zur Musik. Jetzt war ich jedoch leider im Supermarkt und die Musik nicht laut genug, als dass es ein vollkommen rhythmisches Wippen meines Fußes im Takt sein könnte. Ich stand also an der Kasse an, leider einmal wieder mit viel zu vielen anderen Menschen gleichzeitig und mein Bein dachte sich, „wenn nicht jetzt, wann dann?!“. Von der Seite kamen die ersten interessierten Blicke. Einige Frauen musterten mich gespannt von oben bis unten und blieben voller Faszination an meinen Beinen hängen. Ich starrte zurück. Es wurde zu einem Spiel, wann immer ich zurückblickte, drehten sich schnell alle um, blickten, von mir ertappt, zur Seite. Ein Kind kam vorbei und stierte mich mit offenem Mund an. Ist ja alles so ganz lustig und gerade Kindern erkläre ich auch gerne alles Mögliche, aber ich wollte in diesem Moment einfach nur kurz einkaufen gehen. Einfach einmal in der Masse untergehen. Keine Gespräche mehr über das Leben als Rollstuhlfahrerin führen. Ich schob meinen Fuß mit einer aggressiven Handbewegung von meinem Fußbrett. Natürlich hörte das Zucken jetzt nicht auf, aber es war weitaus weniger sichtbar. Es gibt nicht viele dieser Momente, aber just in dieser Situation fühlte ich mich unglaublich nackt und behindert. Von allen Umherstehenden angegafft zu werden, wie ein seltenes Tier in einem Zoo. Natürlich verstehe ich, dass man interessiert schaut, aber es gibt auch einen großen Unterschied zwischen hinschauen und gaffen. Darum war ich mehr als froh, kurz danach endlich wieder zu Hause zu sein.
  4. Mit Spastik und z.B. dem Lukas einkaufen gehen. Sich zu zweit lustig zu machen, über all die schönen Blicke, die man als Paar mit Rollstuhl zugeworfen bekommt – aber dann auch noch, wenn „die Rollstuhlfahrerin auch noch so behindert herumzuckt“ – kann unglaublich unterhaltend sein. Nicht umsonst hat sich der Lukas deshalb den Satz einfallen lassen „Spastik kommt von Spaß“! Ihr seht, es kommt vollkommen darauf an, ob man alleine, oder zu zweit unterwegs ist und ob man gerade gut gelaunt ist, oder einmal nur vollkommen fertig von einem anstrengenden Tag. Im Großen und Ganzen kann eine Spastik also sowohl ziemlich nervig sein, als auch ein großer Spaßfaktor.