Das neue Semester hat gerade angefangen. Online. Wie fast alles momentan.
Durch die Coronakrise werden Dinge möglich, die vorher schier unmöglich erschienen. Es werden Vorlesungen online gehalten oder zuvor aufgezeichnete Vorlesungen online gestellt. Seminare haben plötzlich keine Präsenzpflicht mehr, sondern es müssen Leistungsnachweise in Form von Online-Referaten, Hausarbeiten, etc. eingereicht werden. Einige, sehr versierte Dozent*innen halten manche Seminare sogar direkt live vor der Kamera und alle Studierenden müssen sich dazu schalten. Dass es da zu technischen Problemen kam, gerade in der Anfangszeit, ist naheliegend. Nicht alle Studierenden wohnen in Gegenden, in denen bisher schnelles Internet verlegt wurde. Einige haben bei Videokonferenzen, ganz egal ob per skype, zoom, cisco webex oder was es sonst noch so gibt, Probleme mit der Ton- und Bildqualität. Dennoch hat die Mehrheit der Studierenden dieses Onlineangebot gerne angenommen und in diesem Zusammenhang stellen sich, zu Recht, viele die Frage, weshalb es nicht eher möglich war, Studieninhalte digital zu vermitteln. Was ist mit all denen, die täglich stundenlang zur Uni hin und zurück pendeln, weil es online keine Inhalte gibt? Was ist mit all jenen, die sich neben dem Studium um ihre Kinder kümmern müssen und für die es nicht mal eben planbar ist, wenn ein Kind erkrankt? Was machen die, die gleichzeitig zu den Belastungen des Studiums, schwer erkrankte Angehörige pflegen müssen? Wer denkt an alle die, die neben dem Studium noch arbeiten müssen, weil das Geld hinten und vorne nicht reicht? Die arbeiten müssen, um sich das Studium leisten zu können oder die das Pech haben durch das Bafög-Raster zu fallen und trotzdem nicht genug zum Leben zu haben? Und was ist mit alle den Studierenden mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen? In der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes (2017) gaben 11% aller Studierenden an, durch eine chronische Erkrankung oder Behinderung im Studium beeinträchtigt zu sein. Wer denkt eigentlich an all diese Menschen, für die ein Onlineangebot manchmal schlicht die Rettung wäre?
Aber es kommt noch schlimmer. Denn eigentlich war aufgrund des Datenschutzgesetztes geplant, einige, schon bereits bestehende Onlineinhalte, wieder aus dem Netz zu nehmen. In einigen Gesprächen haben die Interessensvertretungen der Uni versucht, die Problematik der Lage zu erklären und dass eine Löschung der Inhalte für viele Studierende einer Katastrophe gleichkäme. Erfolglos. Erst diese Krise bringt plötzlich neuen Wind in die Sache. Doch wie soll es weiter gehen? Viele wünschen sich, dass es einheitliche Regelungen gibt, damit nicht jede Hochschule für sich entscheiden kann, wie vorgegangen werden soll. Die meisten privaten Hochschulen in Deutschland vermitteln ihr Angebot bereits fast ausschließlich online, wie kann da bezüglich des Datenschutzes diese Diskrepanz entstehen?
Für viele Studierende an den Universitäten ist das Studium eben doch nicht mehr die Hauptbeschäftigung. Viele sind damit beschäftigt, gleichzeitig Arbeit, Familie oder sonstige Verpflichtungen unter einen Hut zu bekommen. Für viele Studierende mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankung bedeutet dies aber oft noch eine höhere Hürde, die es zu nehmen gilt, denn auch diese Personengruppen haben nebenher oft noch andere Verpflichtungen. Wenn ich so zurückdenke, dann war besonders der Beginn meines Studiums unglaublich anstrengend, sowohl körperlich als auch psychisch. Es gilt nicht nur das hohe Pensum des Studiums zu organisieren, sondern auch alle Hindernisse, die gesunden Studentinnen und Studenten oft nicht auffallen. Es galt Parkmöglichkeiten vor der Uni auszuloten, barrierefreie Eingänge zu finden, eine abschließbare Toilette durchzusetzen (Ja, vorher ist einfach niemandem aufgefallen, dass diese sich nicht abschließen lässt. Wahrscheinlich gab es einfach zu wenige Studierende mit Behinderungen. Und dann gibt’s da ja immer noch diese endlose Diskussion à la „und was machen wir, wenn Sie stürzen und wir Ihnen helfen müssen? Die Tür darf nicht abgeschlossen sein…“) und sich um unterfahrbare Tische zu kümmern, weil diese leider nicht in jedem Raum vorhanden waren. Es mussten Seminare verlegt werden, weil Aufzüge außer Betrieb waren und neue Rampen errichtet werden. All das neben dem Studium. Neben der Behinderung und der Erkrankung. Aber wenn dann der Körper eines morgens nicht mehr mitspielte, musste ich mich auch noch rechtfertigen, weshalb ich Unterrichtsstoff verpasse. Die meisten Vorlesungen sind ja ohne Anwesenheitspflicht. Aber was macht man in den Seminaren? Es gibt pro Semester genau zwei Fehltermine. Was ich an diesen Tagen mache, bleibt mir selbst überlassen, denn Atteste zählen nicht. Wenn ich ausschlafen will, um das Klischee der faulen Student*innen zu erfüllen, dann ist das ok. Wenn ich mir aber das Bein breche und zwei Wochen im Krankenhaus liege, dann ist das auch ok – nur eben mein Problem, wenn ich danach nochmal fehle.
Eigentlich sollen die Leiter*innen der Seminare den Studierenden entgegenkommen. Eigentlich. Es herrscht in der Praxis jedoch noch immer relativ wenig Verständnis dafür, dass viele Studierende nicht freiwillig fehlen und am Ende zur Strafe eine Hausarbeit aufgebrummt bekommen. In meinen mittlerweile fünf Jahren habe ich das leider oft genug erlebt – und ich habe noch eine absolut offensichtliche Behinderung. Was ist mit all jenen, denen man es nicht ansieht?
Das System hält sich selbst irgendwie am Laufen und es ist das erste Mal, dass ich sagen muss, dass das Covid-19-Virus hier einmal einen echten Vorteil gebracht hat. Ich wünsche mir, dass wir alle, für die das Studium, aus welchen Gründen auch immer, kein Spaziergang ist, mehr Unterstützung erfahren, auf offenere Ohren stoßen und vielleicht eines Tages genauso unbeschwert in ein Studium starten können, wie sich fast alle Menschen das wünschen. Schade, dass es dafür erst eine Pandemie brauchte.
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