Zuletzt hatte ich die Frage gestellt, ob man sich auf einen Rollstuhl freuen dürfe. Für mich hatte ich diese ganz klar mit Ja beantwortet, da er für mich ein Symbol der Freiheit ist.
Wir haben daraufhin jede Menge Kommentare via Facebook etc. bekommen, in denen ihr schriebt, dass es euch genauso geht. Doch der eigentliche Grund, weshalb ich darauf kam, um den geht es erst heute!
Denn ich bekomme endlich den heiß ersehnten neuen Rollstuhl!
Falls ihr euch jetzt aber fragen solltet, wer eigentlich Kevin ist und warum ihr noch nie von ihm gehört habt, dann kann ich euch erst mal beruhigen. Eigentlich existiert Kevin gar nicht, bzw. er wurde gerade eben erst geboren.
Von wem ich spreche? Von meinem Rollstuhl!
Eigentlich hat mein Rollstuhl auch gar keinen Namen, bzw. er ist nur „Der Stuhl“ oder auch mal mit Kosenamen „Das Stühlchen“. Aber wenn er einen Namen hätte, dann hieße er Kevin! Oder Kevin-Justin. Auf jeden Fall hätte er eher eine Diagnose, anstatt eines Namens.
Denn Kevin und ich, wir führten und führen keine Beziehung auf Augenhöhe. Eher macht Kevin was er will und ich darf den ganzen Mist schließlich ausbaden.

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Aber damit ihr wisst, was genau ich meine und ihr mich nicht für vollkommen bescheuert haltet, fange ich mal weiter hinten an:
Kevin, eigentlich ein Rollstuhl mit dem Namen Helium, der Marke Sopur, kam vor fast zwei Jahren zu mir. Man muss dazu sagen, dass ich nicht sonderlich wild auf unsere Freundschaft war und ich es ihm anfangs auch nicht sehr leicht gemacht habe. Ich denke, wenn man plötzlich eine Behinderung, oder eine Krankheit bekommt, die das vorherige Leben vollkommen auf den Kopf und in Frage stellt, dann ist man allen Veränderungen nicht sehr offen gegenüber. Als Kevin in mein Leben rollte, ging ich davon aus, dass wir nur eine kurze Zeit miteinander verbringen- und sich unsere beiden Wege danach wieder trennen würden. Als jedoch immer klarer wurde, dass es dazu wohl so schnell gar nicht mehr kommen würde, verwandelte sich meine Offenheit der neuen Situation gegenüber sehr schnell in ein leicht aggressives Verhalten. Eine begrenzte Zeit auf den Rollstuhl angewiesen zu sein war für mich ok. Auf unbestimmte Zeit jedoch, kam absolut nicht in Frage.
Doch nicht nur ich schien keine Lust auf unsere Zweierbeziehung zu haben, sondern auch Kevin. Ich konnte noch nicht wirklich mit dem Rollstuhl umgehen, als ich damit die ersten Meter außerhalb unseres Hauses unterwegs war. Ich wollte unbedingt gut Rollstuhlfahren können, um mir ein Stück meiner Freiheit zurückzuerobern. Dementsprechend fuhr ich sehr langsam und vorsichtig, ganz im Gegenteil zu meinem heutigen Fahrstil. Doch keine zwei Wochen, nachdem ich den vollkommen neuen Stuhl bekommen hatte, verlor ich unterwegs eine Schraube, die einen Achsbruch zur Folge hatte! Ich war baff! Ein Achsbruch bei meinem Gewicht? Ich wiege schließlich um einiges weniger als die Hälfte der maximalen Last! Panisch rief ich im Sanitätshaus an und erzählte von meinem Problem. Mein Stuhl war kaputt. (Ich versuche krampfhaft ein Beispiel zu finden, mit dem Fußgänger dieses Desaster verstehen können, wenn man nur den einen Stuhl hat. Vielleicht stellt ihr euch einfach vor, eure beiden Füße wären gebrochen. So und für etwas mehr Realitätsnähe, müsst ihr jetzt mal ganz banal auf die Toilette! Viel Spaß!)

Zum Glück kam recht zügig ein Techniker vorbei, dessen Aussage mich jedoch noch mehr verstörte und bis heute begleitet, als ich damals glauben wollte. Ich argumentierte, dass der Stuhl keine zwei Wochen alt ist und wie denn da schon Schrauben fehlen können. Er sagte, das käme gar nicht so selten vor, bei den neuen Sopur-Stühlen und ich könne mich darauf einstellen, dass das so weitergehen würde. Ganz im Ernst: wenn ich mir etwas Neues kaufe, dann ziehe ich doch nicht zunächst alle Schrauben nach! Wie recht der Techniker behalten hat, weiß ich heute! Es vergeht kein Monat, in dem ich nicht ins Sanitätshaus muss, weil irgendwo eine Schraube fehlt oder es wie verrückt klappert. Das Beste sind die Kugel- und Radlager. Die sind so intelligent konzipiert, dass sobald es draußen nass oder feucht ist (also quasi ab jetzt den gesamten Winter!) die Nässe durch die nicht vollständig abgedichteten Lager eindringt und diese von innen zerstört. Ergo, das Rad dreht sich einfach nicht mehr. Hatte ich bisher drei Mal und es ist nicht zu empfehlen. Ich rolle mit Frieda durchs Feld und plötzlich, aus dem Nichts, blockiert ein kleines Vorderrad. Der Rollstuhl wird zum Katapult und ich lande auf der Straße!

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Das Schlimme ist, dass ich mittlerweile wahnsinnig viele Menschen getroffen habe, denen es ganz genauso geht mit ihrem Sopur-Stuhl! Und das macht mich unglaublich wütend. Viele Menschen haben nur den einen Rollstuhl und keinen Ersatz zuhause. Sie sind darauf angewiesen, dass er funktioniert und können nicht andauernd damit ins Sanitätshaus. Geschweige denn, dass viele gar kein Auto haben, oder fahren können. Wir haben den Stuhl nicht aus Spaß oder aus Bequemlichkeit, sondern weil wir ihn brauchen! Nur weil ein Konzern seit ein paar Jahren auf Quantität, statt auf Qualität setzt, müssen wir Endverbraucher das am Ende ausbaden. Damals bei der Erstversorgung hätte ich mir eine ausführlichere Beratung gewünscht. Ich hatte keine Ahnung von Rollstühlen und meine Lust sich damit auseinanderzusetzen hielt sich auch in Grenzen.

Aber mir wurde nur dieser Stuhl vorgeschlagen und er sieht ja auch ganz hübsch aus. Optisch ist der Helium schon ein wirklich schöner Stuhl. Aber Optik ist halt leider auch nicht alles. Es macht mich sauer, dass die Krankenkassen dieses Spielchen nicht durchschauen. Die Sopur-Stühle sind in der Anschaffung vergleichsweise günstig. Die Kasse zahlt sie also gerne. Aber die Kasse muss auch seitdem für alle Reparaturen aufkommen – und das waren nicht wenige. Ich habe mich bei der Kasse beschwert. Auch in ihrem eigenen Interesse. Bei der Summe, die Kevin in den letzten zwei Jahren an Reparaturen verursacht hat, hätten sie mir locker einen neuen und auch viel hochwertigeren Stuhl bezahlen können. Und genau das machen sie jetzt auch! Meine Freude über den neuen Stuhl kann ich kaum in Worte fassen! Und sollte er endlich da sein, ich warte ganz gespannt, dann lasse ich hier sicherlich eine Bilderflut regnen…